Unsicherheit über das tatsächliche Gründungsjahr Ramelslohs
Bericht zur 1150 Jahrfeier 1995
Von drei karolingerzeitlichen Mittelpunktsorten in der nördlichen Lüneburger Heide, „Hliuni“, Bardowick und Hollenstedt, gibt es durch zeitgenössische, schriftliche Quellen eindeutige historische Überlieferungen. Bei Ramelsloh, der neben dem zu vermutenden Domstift Bardowick ältesten Gründung einer klosterähnlichen Gemeinschaft in diesem Raum, ist dies nicht der Fall. Überliefert sind zwei Urkunden zur Gründung des Stifts Ramelsloh.
Die erste, datiert Frankfurt, 842 Juni 8, läßt den ostfränkischen König Ludwig den Deutschen wie folgt Urkunden: „Nach der Verwüstung Hamburgs (durch die Wikinger) hätte der dortige „Erzbischof“ Ansgar keinen festen Sitz mehr gehabt und wäre mit den überlebenden Klerikern und den Reliquien seines Domstiftes geflüchtet. Darauf hätte ihm „matrona quedam nomine Ikia divino amore tacta es sua hereditate possessiuculam ei traditit in silvia Hramesloa nominata in pago Bardengoa, in episcopatu vero Walgarü Faruensis ecclaesiae episcopi, ubi et cel-lam construxit et reliquias sonctorum una cum fratribus qui superenat collocavit“, d. h. eine Matrone namens Ikia aus Liebe zu Gott von ihrem Erbgut ein kleines Besitztum ihm geschenkt im Wald von Ramelsloh im Bardengau, im Bistum Bischof Waldgars von Verden, wo er eine Klosterzelle errichtete, die Reliquien verwahrte und die überlebenden Kleriker ansiedelte. Im weiteren Verlauf der Urkunde wird ausgeführt, daß Bischof Waldgar von Verden anfangs heftigen Widerstand gegen den Ausbau der Klosterzelle eines auswärtigen Bischofs in seiner eigenen Diözese entgegensetzte. Am Ende aber hätte er gestattet, daß das zukünftige Stift Ramelsloh dort auf immer unter der Leitung von Ansgar und seiner Nachfolger, auch nach dessen beabsichtigter Rückkehr nach Hamburg, verbleiben und zur Hamburger Kirche gehören sollte.
In der zweiten Urkunde, datiert 864 Juni, findet sich die Bestätigung Papst Nikolaus I. für „Erzbischof“ Ansgar und dessen Nachfolger, daß diese auf immer im Besitz des Stifts Ramelsloh verbleiben sollten, wobei dessen Gründungsum-stände mit den selben Worten wie in der nderen Urkunde beschrieben werden. Um 1075 schreibt der Leiter der Bremer Domschule Adam von Bremen in seiner „Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche“, Ansgar hätte „predium, quod Ramsolan dicitur, a quadam venerabili matrona susceperit nomine Ikia“, d. h. das Gut Ramelsloh von einer würdigen Dame namens Ikia erhalten. Des weiteren führt er aus, daß Ansgar dort ein Kloster gegründet und unter anderem die Reliquien der Heiligen Sixtus und Sinnitius, die er auf seiner Flucht aus Hamburg mitgebracht hatte, verwahrt hätte. Von Ramelsloh aus hätte er auch seinen Hamburger Sprengel betreut bis zur Vereinigung der Bistümer Hamburg und Bremen und seiner Übersiedlung nach Bremen. Nun ist sich aber die historische Forschung einig darin, daß die beiden eingangs erwähnten Urkunden zu Beginn des 11. Jahrhunderts gefälscht worden sind und Adam von Bremen vermutlich auf ihnen in seiner Darstellung fußt. Die Fälschungen dürften im Auftrag des Erzbischofs von Bremen erfolgt sein, nachdem um 1000 dessen kirchliche Hoheit über Ramelsloh vom Bischof in Verden, in dessen Diözese das Stift lag, bestritten worden war. Von daher gesehen, besitzen wir in der Überlieferung nur das, was im beginnenden 11. Jahrhundert aus aktuellem Anlaß die offizielle Version des Erzbistums Bremen zur Gründungsgeschichte Ramelslohs war. Die Frage ist, wieweit eine echte später verlorene historische Überlieferung hinsichtlich des Gründungsvorganges in diese Fälschungen möglicherweise eingeflossen sein könnten.
Der Historiker Drögereit hält das Datum in der Urkunde 842 Juni 8, für echt und vermutet, daß Ramelsloh vom Bistum Bremen, zu dem vor 848 noch das Gebiet bis zur Seeve gehört hätte, unmittelbar östlich der Bistumsgrenze am rechten Seeveufer im damaligen Bistum Bardowick gestiftet worden wäre. Dies würde erklären, warum auch,,später Ramelsloh dem Bistum Bremen nachweislich unterstand, obwohl es nach 849 mitten in der Diözese Verden lag. Sollte dies der Fall gewesen sein, ist aber nicht recht einzusehen, wieso dann von Bremen aus die angebliche Ramelsloher Gründungsurkunde auf „Erzbischof“ Ansgar von Hamburg später hätte gefälscht werden müssen. Und was die Datumzeile angeht, so kann diese natürlich von einer zu Beginn des 11. Jahrhunderts in Bremen noch vorhanden gewesenen echten Urkunde Ludwig des Deutschen, die Ramelsloh gar nicht betroffen zu haben braucht, in die Gründungsfälschung übernommen worden sein. Dr. Dieter Brosius gibt demgegenüber zu bedenken, ob an einer Gründung durch Ansgar nach seiner Flucht aus Hamburg nicht doch etwas Wahres sein könnte, zumal das Stift Ramelsloh nachweislich den beiden aus Reims stammenden Märtyrern Sixtus und Sinnitius geweiht war. Nach Adam von Bremen hatte Ansgar die Reliquien der beiden Heiligen vom Erzbischof Ebo von Reims geschenkt erhalten und in Hamburg verwahrt. Sollte Ansgar – zwischen 831 und 848 wahrscheinlich lediglich Bischof und nicht Erzbischof von Hamburg – das Stift Ramelsloh nach seiner Flucht wirklich gegründet haben, so käme dafür allerdings erst das Jahr 845 in Frage, als Hamburg nachweislich von den Wikingern überfallen und die Hamaburg mit dem Bischofssitz zerstört worden war. Nach der Vereinigung des Bistums Hamburg mit dem Bistum Bremen 848 unter Ansgars Leitung wären dann dessen Rechte an Ramelsloh auf seine Nachfolger, die Bremer Erzbischöfe übergegangen. Auffallend jedoch ist, daß in der von seinem Schüler und Nachfolger, dem Bremer Erzbischof Rimbert, um 870 verfaßten Lebensbeschreibung Ansgars von einer Gründung des Stifts Ramelsloh durch den Hamburger Bischof mit keinem Wort die Rede ist. Immerhin wird das Stift urkundlich direkt zuerst 937, chronikalisch indirekt zu 909-915 bezeugt, so daß einiges für seine Entstehung im 9. Jahrhundert spricht.
Auch könnte die Erzählung von der Schenkung der Klosterstätte durch die Matrone Ikia durchaus zutreffen, um so mehr, als die Bremer Annalen des 14. Jahrhunderts behaupten, die spätere Acht Ramelsloh, die wahrscheinlich ursprünglich eine ausgedehnte Grundherrschaft des Stifts über mindestens 50 Höfe in 22 Dörfern bildete, sei aus dem Besitz der Schwester besagter Ikia hervorgegangen, was für eine Familienstiftung spricht. Ein höchst bemerkenswerter archäologischer Zufallsfund 1.500 Meter südöstlich des Stiftsbereichs, es kam eine karolingi-sche Silbermünze – ein Christian-Religio-Denar, der vermutlich zwischen 830 und 840 geprägt worden ist – zum Vorschein, dürfte Indiz dafür sein, daß irgendwann nach 840 hier kurzfristig gesiedelt worden ist. Diese Siedler könnten Ansgar und seinen Getreuen gewesen sein, bevor Ikia ihnen ihr Landgut Ramelsloh schenkte. Als Fazit kann man feststellen, daß die wenigen historischen und archäologischen Indizien nicht dagegen sprechen, daß an der im 11. Jahrhundert überlieferten Gründungsgeschichte des Stifts Ramelsloh durchaus etwas Wahres sein könnte.
Quelle: Harburger Jahrbuch 16