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Textilhaus Rieckmann und die Geschichte des Textilhauses

Wilhelm Rieckmann wurde am 16. August 1912 geboren. Schon sein Vater Wilhelm I (1876-1951) war, ebenso wie der aus Marxen stammende Großvater (1855-1910), Schneidermeister in Ramelsloh. Neben der Schneiderstube hatten die Rieckmanns, so wie die meisten Ramelsloher, eine kleine Landwirtschaft mit Kühen, Schweinen und Geflügel. Die Familie lebte in dem großen weißen Haus hinter dem uns heute bekannten Rieckmann-Haus.

In der Schneiderstube arbeiteten neben dem Schneidermeister Wilhelm Rieckmann ein Geselle und ein Lehrling. Daneben gab es einen kleinen Laden, zunächst nur in der Wohnstube, dann in einem ausgebauten Teil des angrenzenden Stalles. In der Werkstatt wurden Anzüge und Mäntel, für Damen auch Kostüme, in traditioneller Handwerksarbeit hergestellt. Im Laden konnten die Ramelsloher Arbeitskleidung wie Manchesterhosen und blaue Jacken, Strumpfwolle, Kurzwaren, aber auch Meterware für Bettwäsche kaufen. Zum Einkauf fuhr Frau Rieckmann nach Hamburg in´s „Klöpperhaus“. Heute ist im denkmalgeschützten Klöpperhaus der „Kaufhof“.

Wilhelm Rieckmann II ging von 1919 bis 1927 in die Ramelsloher Volksschule, d.h. in die Grund- und Hauptschule. Nach Konfirmation und Schulabgang besuchte er für ein Jahr in Harburg die Handelsschule, ging dann drei Jahre lang beim Vater in die Lehre und machte seine Gesellenprüfung. Wie die meisten Handwerksgesellen seiner Zeit wollte er nicht nur im heimatlichen Dorf bleiben, sondern etwas von der Welt sehen. Darum suchte er sich Arbeit in Hannover, Berlin und Bardowick. In Kursen bereitete er sich auf die Meisterprüfung vor, die er 1938 ablegte. Er war ein begeisteter Sportler, der sich im MTV und auf Sportfesten in der Umgebung besonders in Leichtathletik und Geräteturnen auszeichnete. Auch in der Theatergruppe des MTV spielte er mit. Und natürlich war er Mitglied des Schützenvereins. 1970 wurde er Schützenkönig von Ramelsloh. 1942 heiratete Wilhelm Rieckmann Ella Staacke.

Erst nach der Währungsreform am 18. Juni 1948 mit der Umstellung der wertlosen Reichsmark auf die Deutsche Mark (DM) änderte sich das Bild, und zwar erstaunlich schnell. Es gab bei einigen Firmen nämlich durchaus noch Waren, die freilich zurückgehalten worden waren und erst jetzt wieder auf den Ladentisch kamen. Bei der Währungsumstellung bekamen alle, Erwachsene wie Kinder, ein sogenanntes Kopfgeld von DM 40,–, um überhaupt weiterhin das Lebensnotwendige kaufen zu können. Bis zu einem gewissen Höchstbetrag konnte Bargeld im Verhältnis 1 : 10 umgetauscht werden, Bankguthaben wurden auf 6,5% entwertet und konnten nur stufenweise abgehoben werden.

Da Familie Rieckmann für die tägliche Ernährung weitgehend Selbstversorger war, nahmen Wilhelm und Ella Rieckmann ihr Kopfgeld, das von den 3 Kindern und vom Großvater Wilhelm; fuhren mit dem Fahrrad zum Bahnhof Maschen und von dort mit dem Zug nach Hamburg, um die wieder angebotenen, dringend benötigten Stoffe und andere Waren einzukaufen. Im Ramelsloher Laden wurde ihnen alles, was sie mitbrachten, fast aus den Händen gerissen. Von dem Erlös wurde Nachschub geholt, immer etwas mehr, bis man nicht mehr von der Hand in den Mund lebte, sondern ein Lager hatte, mit dem man disponieren konnte.

In diesen Jahren mussten beide hart arbeiten. In der Landwirtschaft arbeiteten ein Knecht und eine Magd. Aber Ella Rieckmann versorgte nicht nur die drei kleinen Kinder, sie fütterte auch morgens bis zu 60 Schweine, kümmerte sich um den Garten, arbeitete mit im Laden und war dort für Einkauf und Buchführung zuständig.

Noch vor dem Krieg hatten Vater und Sohn Rieckmann das Nachbarhaus an der Ecke zur Harmstorfer Straße erwerben können. Der Besitzer, Sattler Willi Beecken, ging in Konkurs. Bei der Zwangsversteigerung bekamen die Rieckmanns den Zuschlag für das Haus, das sie aber zunächst nicht selber nutzten, sondern an die Familie Zimmermann mit ihren 6 Kindern vermieteten. Mit dem Hause war allerdings eine lebenslange Verpflichtung für Wohnung und Lebensunterhalt des epileptischen älteren Bruders Beecken übernommen worden. Dieser ist von der Familie Zimmermann versorgt worden, bis er wegen sich steigernder Gewalttätigkeit in die Nervenheilanstalt nach Lüneburg gebracht werden musste. Einige Jahre lebte außer den Zimmermanns auch Familie Pape in dem Haus und Herr Pape hatte dort seinen Frisiersalon.

Aus dem Kriege kehrte Wilhelm Rieckmann mit klaren Vorstellungen für den Umbau des Hauses zurück. Erst in den Jahren 1958 bis 1960 konnten die Rieckmanns das alte Haus nach ihren Bedürfnissen umbauen. Auch dabei herrschte strenge Sparsamkeit. So mussten die Kinder den Mörtel von den Steinen der abgebrochenen Wände klopfen. Diese Steine wurden dann beim Kellerausbau wiederverwendet. Rieckmanns richteten im Erdgeschoss einen geräumigen Laden und darüber eine Wohnung für die siebenköpfige Familie ein. Das Sortiment im Laden konnte erweitert werden und umfasste neben Meterware, Kurzwaren und Arbeitsbekleidung nun auch Kinderkleidung und Damenmode.

Der älteste Sohn Wilhelm III (Willi) machte nach der Schulentlassung eine Lehre als Einzelhandelskaufmann, zunächst in Schneverdingen, dann im Textilgeschäft Pozzolli – Modehaus von Regen in Harburg und arbeitete nach der Prüfung bei Karstadt in der Dekorationsabteilung in Hamburg. 1972 heiratete er Gisela Großkopf aus Tostedt. Die gelernte Floristin hatte schon mit 20 Jahren ihre Meisterprüfung machen konnte. Gisela und Willi Rieckmann richteten ihr Heimtex-Studio mit so viel Pfiff und so guten Ideen ein. Willi Rieckmann, der sich die notwendigen Kenntnisse als Dekorateur erwarb, berät seine Kunden in ihren Häusern und Wohnungen bei der Auswahl von Vorhängen und Gardinen und sorgt mit zwei Näherinnen in der Werkstatt unterm Dach für die Ausführung.

Heute ist das Textilhaus geschlossen und verpachtet an eine Innendekorationsfirma.

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Der Dorfkern ist, seit dem Umzug von Knolle und Thalmann an den Ortsrand und der Schließung des Textilhauses Rieckmann, still geworden.

Sind das Zeichen unserer Zeit ?

IPR

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