Dauerbrenner : Umgang mit den „Flüchtlingen“ 2024
Dauerbrenner unserer Tage ist der Umgang mit den „Flüchtlingen“ aus fernen oder näheren Kriegsgebieten. Die Unterbringung und Einbürgerung geht einher mit besonderen Problemen und beschäftigt unsere Gesellschaft immer mehr.
Schaue ich in meine Chronik der Nachkriegszeit, stoße ich auf beinahe unglaubliche Zahlen. Vor etwa 80 Jahren hatten wir eine weitaus größere Situation zu bewältigen. Ende 1944-1945 hatte man in Deutschland etwa 14 Millionen Vertriebene einzuquartieren. Eine Großoffensive der Russen im Osten hatte diese ausgelöst. Dänemark und Schleswig-Holstein wurde von 93% auf dem Seeweg erreicht. Schleswig-Holstein hatte damals mehr Flüchtlinge als Einwohner.
In der Zeit von 1945-49 gab es im Landkreis Harburg 32 000 Vertriebene und 17 500 Ausgebombte aus Hamburg. Zeitweise erhielten die Elbdörfer noch 8 000 ausquartierte aus den Vierlanden.
Dieses Flüchtlingsdrama von 14 Mill. hatte allein 2.1 Mill Menschenleben gekostet. Erschwerend kamen die kalten Winter von 1944-47 hinzu, wiederum ein Vorteil für viele Flüchtlinge die mit Pferd und Wagen über zugefrorene Haffs oder Flüsse die versperrten Landwege nutzen konnten.
Wie war die Situation in Ramelsloh ?
Bei Gesprächen mit älteren Mitbürgern und Zeitzeugen, sprachen sie von einem vollgestopften Dorf. 1939 hatten wir 652 Einwohner und schon 1946 genau 1034. Die Stadtnähe zu Hamburg hatte schon viele Ausgebombte in die Dörfer der Umgebung gebracht. Belgier und Holländer waren hier ohnehin schon einquartiert in Sammelunterkünften, sie halfen als Kriegs-gefangene auf den Höfen und wurden des Nachts bewacht.
Aus den großen Verteilerstellen wie Ludwigslust, Lüneburg und Hamburg kamen viele Geflüchtete über Winsen oder mit der Bahn von Marxen in die Dörfer. Viele kamen mit direkt mit Hab und Gut und Pferd und Wagen in die Dörfer. Registriert wurden sie meist dürftig vom Roten Kreuz an versch. Sammelstellen. Die Zusammenarbeit mit dem Suchdienst des Roten Kreuzes war ein wichtiger Bestandteil für das Auffinden von Verwandten und Angehörigen in diesen Jahren.
Bei Gesprächen mit Einheimischen tauchte oft der Name Theo Krause auf, der wohl zu den meist gehasteten Personen im Dorf gehörte. War der es doch, der noch immer einen Raum fand, war das Haus auch schon voll belegt. Jedes Zimmer wurde erbarmungslos für die Unterbringung genutzt. Was heute „Container-Dörfer“ sind, waren damals „Nissenhütten“, die man heute noch am „Kiekeberg“ bestaunen kann. Viele meist alte Frauen und Kinder waren schlecht bekleidet, oft hungrig, sehnten sich nach Wärme, doch auch Brennstoffe waren Mangelware.
Als die englischen Besatzer in die Ortschaften kamen, mussten sie Zwangs-einweisungen durchsetzen wie z.B. in der damaligen „Stellung“. In den Baracken der Wehrmacht fanden viele eine Bleibe. Sie wohnten dort einigermaßen komfortabel, weil der Dorfkontakt nicht vorhanden war. Vom Mangel an Brennmaterial sprach ich schon. Auf dem Hassel an der heutigen Raststätte, hatten die Engländer Wald total abgeholzt. Die freigelegten Stubben waren daher sehr begehrt. Sie wurden kurzfristig mit Nummern Versehen und den Häusern zugeordnet und dann entsprechend gerodet. Die große Nachfrage sorgte dann auch zu „Schwarzrodungen“ und somit auch zu vielen Vorstrafen.
Der Ortspolizist Emil Lange hatte alle Hände voll zu tun nicht nur mit „Roden“, auch mit „Schwarz-Schlachten“.
Ein Lehrer aus Hunden beschrieb die Situation damals so:
„Das Schicksal der Flüchtlinge ist wohl eins der schwersten, das den Menschen treffen kann. Es soll ihnen erleichtert werden, wo es im Bereich der Möglichkeiten liegt. Das in vielen Fällen dem „Helfenwollen“ Grenzen gesetzt sind, liegt in der Natur der Sache. Die Wohnräume der Flüchtlinge sind bestimmt zum Teil überfüllt, aber auch die Einheimischen kann man nicht noch mehr belasten. Jedenfalls ist eine Gereiztheit auf beiden Seiten unverkennbar.“
Ingo Pape 7/2024