Johann Harms, vergessener Flugpionier aus der Heide
Ein Ramelsloher wollte fliegen
Es war Anfang des letzten Jahrhunderts, als wagemutigen Männer die ersten Flugversuche mit Luftfahrzeugen die „schwerer als die Luft“, damals noch Aeroplan“ genannt, machten die Namen Lilienthal, Wrigth, Bleriot, Euler, Grade waren zu der Zeit in aller Munde. Auch der Tischlermeister Johann Harms aus Ramelsloh wurde von dem uralten Menschheitstraum fliegen zu können gepackt. ( Das Bild links ist aus der Zeitung HAN von Okt. 1951 )
Am 18. Februar 1865 in Seppensen geboren, wo sein Vater das Schmiedehandwerk betrieb, war Johann, altem Zunftbrauch getreu, als Geselle von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt gewandert. Damals nun als Herr Grade, einer der ersten deutschen Flieger, mit seinem Aeroplan über die Reitbahn „sprang“, herrschte auch bei unserm Tischlermeister Harms in Ramelsloh Hochbetrieb. Gemeinsam mit dem Ingenieur August Nesemann, aus Buchholz, baute er 1905 ein Flugzeug nach eigenem Entwurf, einen Eindecker, natürlich aus Holz, mit Segeltuch bespannt und mit einem Sternmotor versehen. Dieses erste Modell kam über mehrere Sprünge nicht hinweg, schoss bei einem derselben „koppheister“ und ging dabei, bis auf den Motor, restlich zu Bruch.
Aber Harms und Nesemann ließen sich nicht entmutigen. Sie machten sich daran, ein zweites Modell zu bauen, für das ihnen eine tote Taube als Vorbild diente. Man beschloss diesmal statt des Segelleinens „Federn“ zu verwenden, und in der Folge war keine Gans in der näheren und weiteren Umgebung ihres natürlichen Kleides nicht mehr sicher. Unermüdlich zog unser Konstrukteur Harms über die Dörfer und kaufte und sammelte Gänsefedern. Tausende, ja Zehntausende davon wurden mit größter Sorgfalt auf und zwischen die Rippen des neuen Apparates hineingeleimt. Als er schließlich fertig war, sah man nur noch Federn – sah ein weißes Ungetüm einer Taube ähnlich, jedoch in riesenhafter Vergrößerung. (Bild unten) Doch selbst diesem gefiederten Vogel der Lüfte gelang es nicht, sich stolz in die Lüfte zu erheben. Bei „Sprüngen“ in der Seppenser Heide ging auch er eines Tages zu Bruch. Immerhin hatte er es wenigstens fertiggebracht, sich einigemal vom Boden zu erheben.
Nach all diesen Versuchen glaubten unsere beiden Konstrukteure herausgefunden zu haben, dass der Kardinalfehler die ungenügende Motorenstärke sei. Die Beschaffung eines Gnom – Motors, der die notwendige Stäke gehabt hätte, kam jedoch des hohen Kaufpreises nicht in Frage. Es musste also ein anderer Ausweg aus dem Dilemma gefunden werden, der nun darin bestehen konnte, das Gewicht des Aeroplans möglichst niedrig zu halten. Man verfiel deshalb auf die Idee statt Holz, Bambusrohr zu verwenden. Nach mühevoller Arbeit war dann viele Wochen darauf das dritte Modell fertig.
Der Start im Saal
Um nun den inzwischen äußerst schmal gewordenen eigenen Geldbeutel etwas aufzufüllen, kam man überein, den Aeroplan der Öffentlichkeit vorzuführen.
Gedacht – getan!
Im Saal des Gasthauses zur Seeve in Ramelsloh, seilte man das Flugzeug an einem großen Pfeiler fest, und gegen eine Eintrittsgebühr von 50 Pfennigen durfte ein interessiertes Publikum das Weltwunder bestaunen. Bald war der Saal bis in den letzten Winkel hinein von Schaulustigen gefüllt. Nach einer kurzen theoretischen Erklärung Nesemanns über das geschaffene Werk und sein funktionieren, nahm Johann Harms auf den Bambussitz im Flugzeug Platz, stemmte die Füße auf den Knüppel für die Seitensteuerung ergriff mit der Rechten den Knüppel für das Höhenruders und kommandierte: „Los“ ! Unter atemloser Spannung der Zuschauer krempelte Nesemann die Ärmel hoch, legte die Arme über Kreuz, packte den Propeller und warf den Motor an. Der Erfolg übertraf die kühnsten Erwartungen. Ein ohrenbetäubender Lärm brach los, verbunden mit einem gewaltigen Orkan, der sämtliche Hüte in die Ecke fegte und die Röcke der Damen schamlos hochwirbelte. Entsetzte Aufschreie erklangen, Kinder heulten, Jungen schrien Hurra, Männer fluchten oder wieherten vor Lachen. Öl spritzte dem auf einen Sitz thronenden Piloten ins Gesicht, über den Anzug , bis er förmlich von Öl triefte – kurz, es gab einen Mordsspektakel und Heidenspaß, von dem noch ein ganzes Jahr lang gesprochen wurde.
Bild:
August Nesemann war der Tüftler neben Johann Harms, hier bei der Vorstellung einer seiner ersten frühen Flieger. Das Modell zeigte er auch 1910 in der Schützenhalle in Buchholz. Die Tragflächen des Motorfliegers waren über und über mit Federn versehen.
Flug in der Seppenser Heide
Auch in Buchholz und in anderen Orten wurde der Aeroplan ausgestellt, wodurch die leergewordenen Kasse der Konstrukteure wieder etwas aufgefüllt werden konnte. Es blieb aber nicht bei den Ausstellungen. Auf der Seppenser Heide wurde mit diesem von Harms und Nesemann aus reinem Idealismus erbaute Flugzeug Höchstleistungen für die damalige Zeit erzielt:
Es gelang tatsächlich über größere ebene Strecken, ja sogar über kleine Wäldchen hinweg zu fliegen !
Das Ende dieser unerhört kühnen Versuche schildert ein Augenzeuge wie folgt:
„Eines Tages versuchte der Nesemann wieder zu fliegen. Der Aeroplan kam auch hoch, aber plötzlich setzte ein jäher Windstoß ein. Der Apparat sackte ab und kam koppheister zu Boden, wobei er in Trümmer ging. Der Nesemann aber kroch heil hervor, muss wohl aber einen furchtbaren Schreck bekommen haben, jedenfalls lief er Quer über die Heide davon, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzublicken“.
– 1951 –
Johann Harms lebt heute noch in Ramelsloh, sehr kränklich schon, teilweise gelähmt und von vielen Zeitgenossen fast vergessen. Die Entwürfe und Zeichnungen der von ihm gebauten Flugzeuge sind leider bei einem Brand vernichtet worden. Seine vier Söhne, Heinrich, Robert, Rudolf und Otto, von denen Heinrich den Betrieb des Vaters weiterführt, sind ebenfalls alle Tischlermeister. Johann Harms ist 1955 gestorben im gesegneten Alter von 90 Jahren.
Wenn Johann Harms Name auch nicht in die Annalen der Flugzeugentwicklung vermerkt ist, so verdient doch allein schon die Tatsache Würdigung und höchste Achtung, dass es ihm als schlichten Tischlermeister gelungen war, nicht nur ein Flugzeug zu bauen, sondern mit diesem Flugzeug auch Höchstleistungen, gemessen am damaligen Stand des Flugwesens zu erzielen.
Ein Bericht der HAN von 1951 aufbewahrt von Elsbeth Heuer (geb. Harms). Bearbeitet von Ingo Pape 2018