Lebendige Geschichte in Ramelsloh: Hier baut die BRD kein NATO Depot
Pressebericht aus dem Stern 1987:
„Scharmützel im Brackeler Grund“
Verteidigungsminister Stoltenberg musste jetzt vor einem Landwirt kapitulieren, der sich jahrelang mit List und Tücke gegen den Bau eines Nato-Depots auf seinen Boden gewehrt hatte
Wenn CDU-Honoratioren zu singen beginnen, ist stets etwas von nationaler Wichtigkeit passiert. So auch am 3. September 1987 in dem Heidedörfchen Ramelsloh an der Autobahn Hannover-Hamburg. Falsch, aber laut dröhnte aus dem Schankraum des »Ramelsloher Hofes« die Heimat-Hymne des Heide-Dichters Hermann Löns: »Auf der Lüneburger Heide, in dem wunderschönen Land, ging ich auf und ging ich unter, allerlei am Weg ich fand.«
Gastgeber des Gelages war die Bundeswehr. Gefeiert wurde das Richtfest für die Munitionsbunker eines »vorgeschobenen Versorgungslagers der Nato« am Rande eines Fichtenwäldchens namens »Brackeler Grund«, im Grundbuch von Ramelsloh eingetragen als »Flurstück 152 der Flur 4 der Gemarkung Ramelsloh«. Als Ergänzung zum Munitionsdepot wollte die Bundeswehr ein großes Treibstoff-Lager bauen, eine Art Tankstelle für die Panzer. Unter den patriotischen Sängern von Ramelsloh fehlte allerdings der wichtigste Mann: Bauer Hermann Buhr, der Besitzer des Wäldchens. Bauer Buhr weigerte sich, auch nur einen Quadratzentimeter seines fünf Hektar großen Grundstücks für kriegerische Zwecke zu verscherbeln. Die Bundeswehr konnte bieten, was sie wollte: Bauer Buhr blieb stur. Der damalige Verteidigungsminister Wörner drohte schließlich mit dem Enteignungs-Prügel.
Bauer Buhr konterte mit Witz und Schläue. Verdutzt erblickten die amtlichen Depot-Strategen eines Morgens vor dem Waldstück ein meterhohes Bauschild mit der Aufschrift: »Hier baut die Bundesrepublik Deutschland kein Nato-Depot.« Dann machten der Bauer und eine örtliche Friedensinitiative sich daran, den windzerzausten Fichtenwald mit Anteilseignern zu verminen. Eine »Gesellschaft bürgerlichen Rechts« kaufte 10 Prozent der Waldfläche -nicht ein bestimmtes Stück, sondern zehn Prozent ideellen Anteil an der Gesamtfläche.
Im Grundbuchamt der Kreisstadt Winsen an der Luhe wurde die Liste der Mitbesitzer immer länger: Arbeiter, Ärzte, Bauern, Beamte, Journalisten, Kabarettisten, Lehrer, Politiker, Rechtsanwälte, Studenten. Für hundert Mark, einzuzahlen auf das Konto der »Friedensinitiative Ramelsloh«, konnte jeder, der wollte, Mitbesitzer des »Flurstücks 152 der Flur 4 der Gemarkung Ramelsloh« werden.
Um die angedrohte Enteignung möglichst abwechslungsreich zu gestalten, sorgten Bauer Buhr und seine Friedensfreunde dafür, dass die Anteilseigner des Fichtenwaldes aus aller Herren Länder kamen.
Zu dem vor der Enteignung vorgeschriebenen Anhörungsverfahren hätte beispielsweise der ehemalige Nato-General Michiel H.v. Meyenfeldt aus Ittervoort (Niederlande) geladen werden müssen.
Bild: Hermann Buhr von Rüdiger Schrader
Oder aus Massachusetts, USA, der Medizin-Nobelpreisträger und frühere Havard-Professor George Wald, der die Behörden mit einem besonderen Gag schockte: Da seine Mutter Deutsche sei, so steckte er dem örtlichen Anzeigenblatt »neuer Kurier«, gedenke er, sich auf seinem Ramelsloher Grundstück beerdigen zu lassen, denn »sicherlich würde die deutsche Regierung zögern, bevor sie eine Begräbnisstätte entweihen würde, nur um der Nato ein weiteres Depot zu geben«.
Um die künftige Leiche des zwar putzmunteren, aber immerhin 83jährigen Nobelpreisträgers nicht in den Boden des »Brackeler Grundes« kommen zu lassen, ordnete das Verteidigungsministerium die sofortige Enteignung an. Begründung: Durch den Nichtbau des Depots entstünde »im Gesamtrahmen der flächendeckenden Versorgung in der vorderen Kampfzone . . . eine empfindliche Lücke«. Die Verkaufsunwilligkeit des Bauern Buhr habe die gesamte Nato-Strategie in Gefahr gebracht, »da eine erfolgreiche Vorneverteidigung in diesem Gefechtsstreifen . . . nicht verwirklicht werden kann«.
Bauer Buhr und seine Mitstreiter verlängerten indessen erbarmungslos die Liste der Mitbesitzer. Rund 300 waren schon im Grundbuch eingetragen. Weitere 300 aus aller Welt lauerten, anonym für die Behörden, als anhörungspflichtige Nachhut im Unterholz.
Was zur totalen Behördenkonfusion noch fehlte, war ein prominenter Mitbesitzer aus dem Ostblock. Um den zu kriegen, stifteten die Friedensinitiative und Bauer Buhr den »Ramelsloher Friedenspreis«: Die damit ausgezeichnete Persönlichkeit wird automatisch Mitbesitzer des Fichtenwaldes und muss vor der Enteignung ebenfalls geladen und angehört werden. Im September vergangenen Jahres war der erste Preisträger gefunden. Die handgemalte Urkunde in einer schlichten Pappröhre wurde im Zentralkomitee in Moskau übergeben. Mitbesitzer des Fichtenwaldes »Brackeler Grund« ist seitdem der Sowjetbürger Michail Sergejewitsch Gorbatschow, Generalsekretär. Auch er müsste nun zur Anhörung nach Lüneburg geladen werden, bevor er enteignet werden kann. Dazu wird es nicht mehr kommen . Die Panzer der Nato müssen im Verteidigungsfalle an der Raiffeisen-Tankstelle von Ramelsloh tanken. Das Bonner Verteidigungsministerium hat die weiße Fahne gehisst und auf die Schließung der Versorgungslücke verzichtet. Am Mittwoch vorletzter Woche teilte ein »Oberst i.G. «Prillim Namen von Minister Stoltenberg den Besitzern des Brackeler Grundes schriftlich mit. » dass das Landbeschaffungsverfahren nicht weiter verfolgt wird«. ro
Stern Redaktion: JÜRGEN STEINHOFF
IPR