Ramelsloh in der Zeit von 1930 bis 1950

Ramelsloh in der Zeit von 1930 bis 1950

(Ein persönlicher Rückblick von Irene Sparr und Otto Cordes sen. zur 1150 Jahrfeier 1995)

Die Menschen in Ramelsloh lebten vor 1933 nicht gerade im Wohlstand, aber richtig Not gelitten hat wohl auch nie­mand. Kleine Gewerbetreibende und Landwirte betrieben vielfach Schweine­mast, Küken- und Hühnerzucht. In Ra­melsloh gab es damals 5 Kaufmanns­läden, 5 Gastwirte, 3 Bäcker, 3 Tischler, 3 Schneider und 3 Schuster. Wir haben aber noch in Erinnerung, dass gruppen­weise Arbeitslose aus Harburg und Ham­burg kamen, um an den Haustüren zu bet­teln. Soweit uns bekannt ist, fuhren diese oft mit der Bahn bis Maschen und gingen dann in die Dörfer, um an den Haustüren um Lebensmittel, Kleidung oder Geld zu bitten.

In dieser Zeit fanden sehr häufig Wahlen statt, weil der Reichstag immer wieder aufgelöst wurde. Wie überall in Deutsch­land, so bekam auch in Ramelsloh die NSDAP immer mehr Anhänger. Nach der Machtübernahme durch Hitler mar­schierte auch hier die SA durch die Straßen. Wir Kinder und Jugendliche wurden im DJ (Deutsches Jungvolk) oder in der HJ (Hitler Jugend), JM (Jung Mädel) oder BDM (Bund Deutscher Mädel) zusammengeschlossen. An statt Turnriegen des MTV gab es bald Sport­dienstgruppen der HJ. Ältere Turner wur­den zum Wehrsport zusammengefasst. Auch in Ramelsloh wurde 1935, wie in fast allen Dörfern und Städten, ein Hitler-Stein gesetzt und eine Hitler-Eiche ge­pflanzt. Die Inschrift auf dem Hitler-Stein lautete: „Deutschlands Erhebung am 30. Januar 1933″.

Für die Schule gab es bald neue Schul­bücher. Soweit sie der Erziehung dienten, wurden alle auf Prinzipien und Ziele der NSDAP ausgerichtet. Sehr oft mussten wir mit der Sammel­büchse los, um Geldspenden für das WHW (Winterhilfswerk) zu erbitten. An jedem 4. Sonntag war Eintopf-Sonntag, das heißt, an statt eines Sonntagsbratens war ein Eintopfgericht auf den Tisch zu bringen. Das so ersparte Geld sollte in die Sammelbüchse getan werden, mit der wir von Haus zu Haus gingen. Wir hatten in diesen Jahren eigentlich doch eine fröhliche Jugendzeit. 1937 wurde aus dem Moorteich, in dem wir schon immer gebadet hatten, ein richtiger Badeteich geschaffen. Wir Schulkinder mussten bei der Reinigung des Moortei­ches kräftig mithelfen. Nach der Fertig­stellung wurde die Einweihung mit einem Strandfest gefeiert. Die DLRG Winsen war zu Gast und machte Schwimmvor­führungen. Später wurden in unserem Ba­deteich von der DLRG Schwimmkurse abgehalten und Prüfungen abgenommen. Das ging bis 1942.

Mit dem Bau der Reichsautobahn wurde hier 1938 begonnen. Viele Landwirte mussten dafür Flächen ihres Landbesitzes hergeben. Entschädigt wurden sie da­durch, dass man einen Teil des Haßel ro­dete und ihnen hier Ackerland wiedergab. In Ohlendorf, in der Gegend Osterberg, wurde ein großes Barackenlager für die Autobahnarbeiter errichtet. Vom Auto­bahnbau und den Arbeitern profitierten die Ramelsloher Geschäfte. Mit Beginn des Krieges 1939 wurden die Arbeiten eingestellt und die Autobahn blieb bis Kriegsende halbfertig liegen. Nach und nach wurden fast alle wehrfähi­gen Männer zur Wehrmacht eingezogen. Freude und Fröhlichkeit erstarb allmäh­lich in Ramelsloh. Jeder glaubte wohl, seine Pflicht tun zu müssen. Aber nicht nur Männer, sondern auch Mädchen und junge Frauen mussten als Luftwaffenhel­ferinnen oder Kriegsdienstleistende Ra­melsloh verlassen.

Alle lebenswichtigen Güter wurden bald rationiert. Jeden Monat gab es neue Le­bensmittelkarten. Mit diesen Karten ging man zum Kaufmann oder Händler, der dann entsprechende Marken abtrennte und die Menge eines Lebensmittels nach Gewicht oder Stück, wie es auf den Mar­ken aufgedruckt war, verkaufte. Die Preise waren alle vorgeschrieben. Die ab­getrennten Marken mussten vom Kauf­mann auf Bogen geklebt werden. Beim Landratsamt wurden die Bögen einge­reicht. Dort erhielt der Kaufmann einen Bezugsschein, mit dem er dann beim Großhändler wieder einkaufen konnte. Für den Bezug von Tabakwaren gab es eine Raucherkarte, für Bekleidung die Reichskleiderkarte. Brauchte man jedoch etwas Besonderes, z. B. einen Fahrrad­schlauch, so musste man sich hierfür einen entsprechenden Bezugsschein beim Bür­germeister besorgen. Autos durften nur fahren, wenn ihre Fahrten als lebensnot­wendig eingestuft wurden. Das Fahrzeug erhielt dann einen roten Winkel auf dem Nummernschild. Benzinmarken erhielt man vom Landratsamt, nachdem man dort sein Fahrtenbuch vorgelegt hatte. Die Lkws des hiesigen Fuhrunternehmens wurden mit Holzgas-Generatoren betrie­ben.

Fast alle Einwohner waren in Bezug auf Nahrungsmittel zu Selbstversorgern ge­worden, nicht nur die Bauern, sondern auch Handwerker und Arbeiter betrieben etwas Landwirtschaft. Wer aber ein Schwein aus eigenem Stall schlachten wollte, benötigte hierfür einen Schlacht­schein und durfte nur eine bestimmte Menge für den Eigenbedarf behalten, alles andere musste abgeliefert werden. So war es auch bei anderen selbsterzeugten Nahrungsmitteln.

1940 wurde der Saal im „Ramelsloher Hof“ (damals Gastwirt Hans Dörels) für die Unterbringung von Kriegsgefangenen beschlagnahmt. Anfangs waren es Bel­gier, die hier untergebracht waren, später Franzosen. Die Gefangenen mussten, bewacht von Landesschützen, tagsüber auf den Bauernhöfen oder in Handwerksbe­trieben arbeiten. Soviel wir wissen, gab es mit den Gefangenen keinerlei Schwierig­keiten.

Im Juni 1940 fielen am Badeteich die er­sten Bomben in Ramelsloh. Das Mond­licht, das sich im Badeteich spiegelte, so meinte man, war wohl zum Ziel eng­lischer Bomber geworden. Viele Men­schen liefen am Morgen zum Badeteich, um sich die Bombentrichter anzusehen. Einige Bombensplitter gingen auch durch die Wand eines Wohnhauses. Wollte man abends im Haus Licht anmachen, musste man sehr genau darauf achten, dass alle Fenster verdunkelt waren. Hierfür wurde überall schwarzes Verdunkelungspapier bereitgestellt, Luftschutzwarte achteten darauf, dass kein Licht nach außen drang. Autos, die noch fahren durften, hatten vor den Scheinwerfern schwarze Kappen mit kleinen Lichtschlitzen. Im Laufe der nächsten Zeit fielen immer wieder Bomben in der Gemarkung Ra­melsloh. Viele Brandbomben trafen unse­ren Ort und auch eine Luftmine. Im Wald­gelände des Haßel stürzte ein von der Flak getroffenes englisches Flugzeug ab. Durch Brandbomben geriet das Benthack’sche Haus im Alten Moor und die Scheune von Emil Eddelbüttel in Brand. 1942 wurde auf dem Höpen, zwischen Gödecke und dort, wo heute die Bahn­strecke verläuft, eine Luftnachrichtenstel­lung errichtet. In einem Barackenlager, das später für Flüchtlinge und Vertriebene genutzt wurde, waren die Soldaten der Luftwaffe untergebracht. Auf den Hügeln und Anhöhen in dieser Gegend standen große Scheinwerfer und Parabolspiegel. Am 25. und 26. Juli 1943 flogen englische Bomber zwei Großangriffe auf Hamburg. Viele Hamburger, die noch mit dem Leben davongekommen waren, verloren ihr Hab und Gut und mussten nun unterge­bracht werden. So kamen auch einige nach Ramelsloh.

Es war eine sehr schlimme Zeit. Immer wieder trafen Nachrichten ein, dass dieser oder jener Mann aus Ramelsloh gefallen, vermißt oder verwundet war.

Ende Januar 1945 kamen die ersten Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen. Sie kamen mit der Bahn bis Marxen. Von dort wurden sie von Bauern mit Pferde­fuhrwerken nach Ramelsloh gebracht und auf die einzelnen Häuser verteilt. Die Ramelsloher waren, wie wir uns erinnern können, durchweg zur Aufnahme der Flüchtlinge bereit. Dennoch hat es auch Spannungen gegeben. Als von den Sie­germächten die Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze festgelegt wurde, hat man die Deutschen, die jenseits dieser Linie ihre Heimat hatten, einfach vertrie­ben. Einige von ihnen fanden in Ramels­loh eine neue Heimat. In den letzten Tagen des Krieges wurde in Ramelsloh noch der Volkssturm, das wohl letzte Aufgebot, stationiert. Von kundigen Bauern wurde den Ramelslohern immer wieder gesagt: „Bringt eure Saat in die Erde. Was in der Erde liegt, können sie euch nicht wegnehmen.“ Vom Volkssturm wurden in der Breiten Straße, in der Nähe des Heimtexstudio W. Rieckmann, noch eine Panzersperre errichtet. Die wurde aber von beherzten Ramelslohern wieder abgerissen, bevor die Engländer von Harmstorf her in unser Dorf einrückten. Zu Kampfhandlungen kam es nicht. Meh­rere Häuser wurden von der Besatzungs­macht beschlagnahmt und besetzt. Die Verwaltung konnte weiterarbeiten wie bisher, so dass es hier nicht zu größeren Störungen kam. Mehrere Ramelsloher mussten sich bald einem Entnazifizie­rungsverfahren unterziehen. Auch wur­den einige Betriebe unter treuhänderische Verwaltung gestellt. Aber das ging alles sehr human zu. Weil das Geld wenig Wert hatte, blühten auch hier Schwarzmarkt und Tauschgeschäfte. Nachdem die Engländer unser Dorf verlassen hatten, war ein großer Nachholbedarf an Lebens­freude und Vergnügen zu spüren. Im Gasthaus Scharfenberg war fast an jedem Wochenende Tanz. Etliche Male spielte sogar eine größere Kapelle mit 12-15 Musikern auf. Natürlich kamen die wegen des Essens und der Naturalien hierher. Auch Hamburger Künstler wie Richard Germer und Frido Grotey gastierten aus diesem Grund im Gasthaus Scharfenberg. Im wiederhergestellten Saal des Ramelsloher Hofes wurden von einem Wander­kino Filme vorgeführt. Fast in jedem Garten wurde damals Tabak angebaut. Das Zigarettendrehen gehörte für viele zum täglichen Leben. Wenn auch verboten, wurde doch in vielen Häusern Schnaps aus Zuckerrüben gebrannt. Schnaps und Tabak wurden vielfach als Tauschobjekte für andere Dinge verwendet. Aus Zuckerrüben wurde auch Sirup gekocht, aus Kartoffeln stellte man selbst Kartoffelmehl her. Auch das „Schwarz­schlachten“ spielte eine große Rolle. Nach der Währungsreform und dem Wirt­schaftsaufschwung war das alles bald vor­bei. Überall wurden jetzt Arbeitskräfte benötigt. An der Autobahn wurde weiter­gebaut. Man konnte mit dem neuen Geld wieder ohne Marken einkaufen. So ging allmählich alles wieder seinen normalen Gang.

Die gefallenen und die vermißten Solda­ten hinterließen jedoch auch in Ramelsloh noch viele Jahre große Lücken.

Irene Sparr Otto Cordes, sen.

alle Bilder sind aus dem Ortsarchiv Ramelsloh
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